Dienstag, 6. November 2012

Zur Etymologie von ahd. krûsa

In Gl. seit dem 12. Jh. ist das Wort krūsa f. n-St. überliefert. Es glossiert lat. redecisium und hat somit die Bedeutung 'Vormagen'. In der Form ist das Wort nicht fortgesetzt.

Seinen nächsten Entsprechungen findet ahd. krūsa < urgerm. krūsōn‑ das Wort in: mndd. krǖse n. 'Gekröse, Eingeweide' < urgerm. *krūsja‑.
Es wird allgemein und sicher zu recht angenommen, dass die Formen Ableitungen von dem urgerm. Adj. *krūsa‑ 'kraus' sind, das fortgesetzt ist in: mhd. krūs 'kraus, gelockt', nhd. kraus '(von kürzerem Haar) sehr stark, in widerspenstig-spröder Weise gelockt, geringelt, voller unregelmäßiger enger Linien, Falten, welliger, wellenartiger Formen, (abwertend) (absonderlich und) wirr, verworren, ungeordnet', mndd. krūs 'kraus, gekräuselt, in Falten gelegt', mndl. cruus, nndl. kroes 'kraus, gelockt', nwestfries. kroes 'fein krauses Haar, gekräuselt', saterfries. krúus 'kraus'.
Daneben stehen Formen, die auf eine Variante mit Diphthong weisen: urgerm. *kraus‑ weisen: mhd. (ge)krœse st.n. 'das kleine Gedärm, Gekröse', nhd. Gekröse n. '(Anatomie) wie eine Kreppmanschette gekräuseltes, aus Bindegewebe bestehendes Aufhängeband des Dünndarms, Eingeweide, Gedärm, (Kochkunst) Gesamtheit essbarer Innereien (besonders vom Kalb)', mndd. krȫse n. 'Gekröse, Eingeweide', mndl. croos, nndl. kroos 'Eingeweide, Gedärm' (< *krausja-).
Eine weitere hierher gestellte Bildung ist urgerm. *kruzla/ōn- 'Haarlocke' > *krulla/ōn-, das vorliegt in: mhd. krol, krul st.m., krolle, krülle sw.f. 'Haarlocke', nhd. (dial.) Krolle f. 'Locke', mndd. krul m./n., krulle f. 'Locke, Lockenfrisur, ‑kopf, Krauskopf', mndl. crul, crulle, crolle 'Kurve, Haarlocke', nndl. krul 'Spiralform', me. crul 'kraus', ne. curl 'Haarlocke' (die engl. Formen sind wohl aus dem Mndl. entlehnt), nisl. krull, ndän. krølle, nnorw., nschwed. krull 'Haarlocke'.

All diese Formen werden bei Pokorny, IEW, S. 390 unter einem Wurzelansatz uridg. *greus- zusammengestellt, die eine Erweiterung von der Verbalwurzel uridg. *ger- 'drehen, winden' sein soll (natürlich muss man eine doppelte Wurzelerweiterung annehmen: *ger‑ → *greu‑ → *greus‑). Dieser Ansatz vermag jedoch nicht zu überzeugen, da sie die Varianz urgerm. *-au- : -u- : -ū- nicht erklären kann.

Will man nicht zu einer analogischen Erklärung greifen (mit einem sekundären -ū-), bieten sich zwei Möglichkeiten an:

1. Ansatz einer Wurzel vorurgerm. *g/ĝreuH‑, die hier wohl mit einer s-Erweiterung *g/ĝreuH‑s‑ vorliegt (die Annahme einer Ableitung mit s-Suffix, von der aus dann die germ. Formen abgeleitet wären, ist weniger wahrscheinlich). Die Formen lassen sich dann folgendermaßen Herleiten:
1.a. urgerm. *krūsa‑ < vorurgerm. *g/ĝruHso‑ (mit sekundärem Akzent auf dem *‑u‑ [nach *krausa-]?);
1.b. urgerm. *krausa‑ < vorurgerm. *g/ĝróuHso‑;
1.c. urgerm. *kruzla/ōn‑ < vorurgerm. *g/ĝruHsló‑ mit regulärem Schwund des Laryngals in der Folge *‑Hsl‑ (vgl. dazu Neri 2011: 293).

2. Ansatz einer Wurzel vorurgerm. *g/ĝreh2u‑, ebenfalls mit einer s-Erweiterung *g/ĝreh2u‑s‑ vorliegt. Die Formen lassen sich dann folgendermaßen Herleiten:
2.a. urgerm. *krūsa‑ < vorurgerm. *g/ĝrh2uso‑ → *g/ĝruh2so‑;
2.b. urgerm. *krausa‑ < vorurgerm. *g/ĝréh2uso‑;
2.c. urgerm. *kruzla/ōn‑ entweder < vorurgerm. *g/ĝrh2usló‑ → *g/ĝrrusló‑ (vgl. dazu Neri 2011: 144, 193 Fn.80, 225, 233, 251 mit Fn. 73, 286) oder < vorurgerm. *g/ĝrh2usló‑ → *g/ĝruh2sló‑ (und weiter wie unter 1.c.).

Eine kleine, winzige Frage bleibt dann noch übrig: Ist einer der beiden Wurzeln auch noch außerhalb der germ. Formen belegt? Hinweise wären willkommen.

P.S.1: Diese Gruppe ist unbedingt von der um ahd. krosal* 'Knorpel' zu trennen.
P.S.2: Ich bedanke micht für Anregungen und Hinweise bei Sergio Neri (Fehler sind leider trotzdem nur mir anzulasten ...)

Sonntag, 4. November 2012

Zur Einordnung von ahd. kuti

Die ahd. Wortform kuti ist nur ein einziges Mal belegt, und zwar in Gl. 4,6,1: (nom.sg. oder pl.) chuti . caulae (Jc). Hierfür wird u.a. vom Leipziger Althochdeutschen Wörterbuch, Bd. 5, Sp. 560; J. Splett, Althochdeutsches Wörterbuch, Bd. 1, S. 503 (vgl. auch Elke Krotz, Auf den Spuren des althochdeutschen Isidors, 2002, S. 379) ein eigenständiges Lemma kuti st.N. '(Schaf‑)Stall' angesetzt. Dieses wird dabei zur Wortgruppe um urgerm. *k(a)ut(j)a(n)- 'Hütte' gestellt (vgl. dazu A. Fick, Vergleichendes Wörterbuch der Indogermanischen Sprachen. Teil 3: Wortschatz der germanischen Spracheinheit. Unter Mitwirkung von Hj. Falk gänzlich umgearbeitet von A. Torp. 4. Aufl. Göttingen, 1909, S. 47).

Diese Deutung vermag jedoch kaum zu überzeugen. Denn bei der Deutung als st.N. kann nur von einem neutralen ja-St. ausgegangen werden, was lautlich jedoch unmöglich ist. Denn eine Vorform urgerm. *kutja- hätte über westgerm. *kuttja- zu ahd. **kuzzi führen müssen. Die einzige andere Möglichkeit wäre die Annahme eines m./f. i-St., also < urgerm. *kuti- (n. i-St. sind im Ahd. nicht [bzw. so gut wie gar nicht] belegt). Für einen solchen Stamm gibt es jedoch im Germanischen keinen weiteren Hinweis.

Aus diesen Gründen ist es näherliegend, die Interpretation bei G. Köbler, Wörterbuch der althochdeutschen Sprachen, S. 693; R. Schützeichel, Althochdeutsches Wörterbuch (7. Auflage), S. 188; Starck-Wells, Althochdeutsches Glossenwörterbuch, S. 356; R, Schützeichel, Althochdeutscher und Altsächsischer Glossenwortschatz, Bd. 5, S. 408; E. Seebold, Chronologisches Wörterbuch des 9. Jahrhunderts, S. 490 zu folgen und von einer Fehlgraphie für kutti n. ja-St. '(Vieh‑)Herde, Schafherde, (Vogel‑)Schwarm' auszugehen. Dies wird dadurch wahrscheinlich, weil erstens lat. caulae 'Hürde der Schafe' nicht auf einen geschlossenen Raum weist bzw. weisen muss, zweitens ein vergleichbares Nebeneinander der beiden Bedeutungen ('Schar' und 'Hürde') sich auch in der neuwestfries. Entsprechung kudde 'Herde, Koppel' findet.